Liebes Archiv … Einträge vom Oktober 2007

Rauch über den Feldern.

Seit Wochen nun werden die Reisfelder eins nach dem anderen gemäht. Inzwischen ist es dem morgendlichen Nebel, der zeitweise dick über den Feldern lag, bei minimal minus zwei Grad zu kalt, wer hat das bestellt? Stattdessen gibt es jetzt abendliche Rauchschwaden von brennenden Feldern, wie in einem Entwicklungsland, glauben die wirklich noch an das Märchen mit dem Dünger aus Asche? Warum wird niemand für diesem Frevel verknackt?

[] Vercelli / Mittwoch, 24. Oktember 2007

Ein kurzer Tag am Langensee.


Sowas! Auch der lange See, der bis in die Schweiz reicht, ist kaum mehr als eine Stunde von Vercelli entfernt! Das habe ich am Samstag geprüft, als ich nach Verbania fuhr, der größten Stadt am See, die etwa sein unteres Drittel markiert. Um eine Landzunge formieren sich die eingemeindeten Ortschaften Intra, die geschäftigere, und das eher mondäne Pallanza mit seinen Villen und Hotels.
Das Auto am Fährhafen geparkt, wanderte ich nach einem Rundgang durch Intra um die Spitze der Halbinsel den langen Weg nach Pallanza, vorbei an den verlassenen Sommervillen am felsigen Ufer und dem eingemotteten Grand Hotel Majestic. Spinnweben hüllen den Ort jetzt ein. Die wenigen Touristen halten ihre Gesichter in die Sonne. Ich auch. Nach einen Stop im Eiscafé steige ich auf die Fähre und bin in einer Viertelstunde zurück am Hafen von Intra.
Auf dem Rückweg mache ich nochmal Halt und sehe die Sonne hinter den Bergen verschwinden, es wird frisch im Schilf. Die Landstraße ist in beiden Richtungen verstopft mit Tagestouristen, aber die Autobahn ist frei. Gut, daß die Saison aus ist.

[] Verbania / Samstach, 20. Oktember 2007

…und abends frische Cozze.


Nur eineinhalb Stunden in Richtung Süden, schon sind wir in Genua - Chaos! Autos auf Parkplatzsuche und wir mittendrin! Das Parkleitsystem darf so nicht genannt werden, wir geben auf und fahren lieber weiter in Richtung Portofino, schlängeln uns am Rande des Appenin durch die Dörfer und gewinnen tiefe Einblicke zum Meer. Wunderbar!
Portofino, feiner Hafen am Ende der Straße ist verseucht mit Tagestouristen. Die Stunde im Parkhaus kostet zehn Euro, das Zimmer im Hotel Nazionale an der Piazza drei- bis vierhundert Euro, das letzte Zimmer im Hotel Eden zweihundertfuffzich, wir bleiben Tagestouristen. Vom Castello Brown, ein kurzer Fußweg, schweift der Blick über die Bucht von Portofino, herrlich! Die Kirche San Giorgio thront eine Stufe tiefer über der Bucht, auch schön. Die Sonne wendet sich langsam ab, wir genehmigen uns noch ein paar sauteure Cappucchini und wenden uns nach Santa Margherita, wo die Touristeninformation relativ günstige Hotelzimmer aufgerissen hat.
Und dort lassen wir uns am Hafen frische Cozze, also Miesmuscheln, und Fisch alle ligure schmecken, dazu eine Pulle lokalen Weißweins und die Welt ist in Ordnung.
Die Rückfahrt am nächsten Morgen führt uns durch das Hinterland, Genua umfahrend, durch bunte Herbstwälder, ich ersteige eine Burgruine und schon sind wir wieder in Vercelli - mein Flugzeug wartet! Was für ein Leben! Dreiwettertaft!

[] Portofino / Sonntach, 14. Oktember 2007

AVGVSTA TAVRINORVM.


Es ist recht ruhig, als wir gegen elf Uhr vormittags das Auto unweit des Stadtzentrums abstellen. Dank römischer Stadtplanung sind die Straßen schnurgerade und man trifft wie ein Pfeil ins Schwarze. Es ist nichts zu spüren davon, daß drei Viertel aller italienischen Autos aus einem Vorort dieser Stadt kommen.
Beginnend am altrömischen Nordtor Porta Palatina der nahezu quadratischen Militärsiedlung Augusta Taurinorum zirkeln wir uns dank des nur für Busreisende gemachten Baedecker Nord-Italien orientierungslos zur Kathedrale San Giovanni Battista. Hier ruht das als Thüringer Turiner Grabtuch bekannte Laken. Es soll einst Jesus' Leiche nach der Kreuzigung eingehüllt haben. Ist es echt? Die einen sagen so, die anderen so. Zu sehen jedenfalls ist es nur alle fünfundzwanzig Jahre, ständig ausgestellt ist die Reproduktion, die ist dicht belagert. Über der Tür hängt das Letzte Abendmahl - auch nur in Kopie.
Geht man an der Kathedrale vorbei, kommt man zum Palazzo Reale, einstigem Sitz der Savoyenkönige, der von außen nicht viel hermacht, von innen aber ist er prächtig - ein Ziel für einen Regentag, genau wie der Palazzo Madama, der es mit einigen Modifikationen vom Stadttor über die Stadtfestung und den Wohnsitz der ersten Dame des Savoyen-Reiches zum Museo Civico D'Arte Antica gebracht hat.
Auf dem Weg zum Fluß fällt uns endlich das Wahrzeichen der Stadt ins Auge, das eigentlich eine Synagoge werden sollte. Nun ist es einhundertsiebenundsechzig Meter hoch und beherbergt das Kinomuseum. An seinem Fuße setzen wir uns zum Mittagsmahl. Dann lassen wir uns vom Panoramalift mitten durch das Gebäude zur Aussichtsplattform tragen, und haben einen wunderbaren Blick über die Stadt.
Wir schlagen eine Bogen, gehen zum Ufer des Po, hier kann man den industriellen Niedergang erriechen, wenden uns zum Hauptbahnhof, der nur von außen interessant aussieht und gerade renoviert wird. Der Reiseführer empfiehlt die Piazza San Carlo wegen seiner Konditoreien, naja, wir geraten nicht übermäßig ins Schwärmen.
Die Sonne senkt sich gnädig über die baumlosen Einkaufsstraßen, man ist aufgewacht und schiebt sich durch die Steinarkaden, vorbei an den Fenstern mit großen Namen. Wenig außerhalb des Zentrums übernimmt die dunkle Seite, schäbige Figuren, eine benutzte Spritze auf dem Gehweg. Die abgestoßenen Ecken der Stadt verlieren ihren morbiden Charme und wir sind genug gelaufen. Der Parkplatz sah bei Ankunft noch so harmlos aus und ist jetzt voller zwielichtiger Gestalten. Rein ins Auto und raus aus Turin.

[] Torino / Sonntach, 07. Oktember 2007

Rein ins Leben.

ine gediegene Stadtwohnung haben wir uns jetzt zugelegt, F. und ich, aus der Tür gefallen und schon auf der Piazza zu einem gepflegten Espresso, ruhig und doch zentral in einem Palazzo aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die Tür vom Hoftor schlägt schwer ins Schloß. Im trutzigen Treppenhaus echot jedes Geräusch. O sole mio kann man singen auf dem Balkon überm Innenhof. Die Tauben gurren. Die Fensterläden knarren. Morgens ab sieben geben die Kirchtürme die Zeit durch. Die Matratzen sind so weich, daß ich um meinen Rücken fürchte.
Wir brauchen natürlich einiges an Erstausstattung, aber in der jahrhundertealten Stadtstruktur von Vercelli ist kein Platz für eine Einkaufsmeile, wir wollen nach der Arbeit nicht die zahllosen Gassen nach den richtigen Läden absuchen. Vor der Stadt der mittlerweile weltweit allgegenwärtige Carrefour hat eine reichhaltige Lebensmittelauswahl, aber die Designs der Bettwäsche sind einfach nur scheußlich. Ich kann mich nicht zum Kauf überwinden. Zudem ist hierzulande eher die Kombination von Laken und Tagesdecke zum Zudecken angesagt, wir irren hilflos durch die Regale. Muß ich pur schlafen gehen?
Nein, noch eine Nacht im Hotel und dann ins schwedische Einrichtungshaus vor den Toren Turins, eine Stunde entfernt - hier gibt es was! Ich atme auf.
Am Samstag dann unser erster Wochenendeinkauf für das neue Heim. Und das metert. Was man so braucht, wenn man einen italienischen Haushalt gründet: Olivenöl, Balsamico-Essig, Mozzarella vom Büffel, Tomaten, Spaghetti, Gnocchi, Basilikum, Käse in tausend Variationen, Salami und Schinken, eingelegte Oliven, Rotwein, eben das, was man sich unter lokalen Spezereien so vorstellt. Der Wagen ist voll, die Kreditkarte leer. La dolce vita kann beginnen - wenn nur die Arbeit nicht wäre.

[] Vercelli / für Samstach, 06. Oktember 2007

Die spinnen, die Spinnen.


[] Vercelli / Mittwoch, 03. Oktember 2007

Raus aus dem Loch.

erwöhnt. Luxus. Beneidenswert. Wie im Fülm. Das wird das Erste sein, was dem gemeinen Zuhausewohner in den Sinn kommt, wenn ich monatelang in einem Hotelzimmer wohnen darf. Und niemand weiß wovon er/sie spricht. Verstreue ich meine Lektüre quer über den Tisch, arrangiere meine Toilettenartikel im Bad, egal welche persönliche Note ich ins Zimmer bringe, komme ich abends zurück ist als wäre nichts gewesen und die Kemenate ein Museum der kühlen Alltagskunst. Die Zeitschriften gestapelt, die Münzen und Kassenbons geordnet abgelegt, der Vorhang zugezogen. Auch das Bett ist nicht mehr verwüstet wie ich es verlassen habe (die Sache mit dem kompromittierenden Schokofleck auf dem Laken ist ja schon ein alter Hut), die Bettdecke ist wieder streng unter der Matratze festgetackert und bringt mich später noch zum Fluchen wie jeden Abend. Der Mülleimer ist geleert, jede Spur von menschlichem Leben getilgt.
Mir bleibt auch diesmal nur die Wahl zwischen Schreibtisch und Bett, könnte mich natürlich auch aufs Klo setzen. Der Fernseher kann nur ausländisch - sagt man, habs noch nicht überprüft. Zwei Bier hab ich in der mikroskopischen Minibar geparkt. Mehr geht nicht rein.
Vielleicht gehe ich morgen zum letzten Mal zum Frühstücksbuffet, dem typisch italienischen, das ausschließlich aus einem Dutzend verschiedenen Kuchen besteht, bekomme einen handgedrechselten Cappuccino und etwas Aufschnitt auf den Toast, man hat sich auf ausländische Gäste eingerichtet, und gehe in die Tiefgarage, wo das Auto wartet. Leben im Hotel muß nicht schlecht sein - wenn man rechtzeitig aufhört.

[] Vercelli / Montach, 01. Oktember 2007

...und hier geht's weiter in die Vergangenheit.